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Warum ich kein Grüner (mehr) bin.

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Seit einem guten Monat weiss ich, dass ich meine im Rahmen der Initiative Grüne Vorwahlen auf unerwartet schwierige und intensive Art und Weise erworbene Rolle eines Unterstützers der Wiener Grünen zurücklegen werde. Aber ich wollte mir etwas Zeit lassen damit. Einerseits weil ich keine überhastete und dann vielleicht zu emotionale Entscheidung treffen wollte, andererseits weil ich meine auf Gefühlsebene bereits gewussten Gründe auch selbst erst näher erforschen musste.

Die Sache mit dem Knäuel

Foto credits according Creative Commons BY-SA 2.0

Fest steht, ich möchte nichts unterstützen, von dem ich für mich weiss, dass ich es nicht länger für unterstützenswert halte. Gar nicht leicht fällt es mir aber den ganzen Knäuel, der sich da bei mir angesammelt hat wieder zu entwirren. Und dann kommt bei fast jedem der herausgezogenen roten Fäden auch noch dieses Gefühl auf, eigentlich darüber schweigen zu wollen. Unter eine Phase mich erdrückender Kleinkariertheit einfach einen schweigenden Schlußstrich setzen zu wollen. Und doch kann ich glaub ich nicht ganz schweigend gehen, bin ich mir selbst und Euch dann doch ein paar klärende und offene Worte schuldig. Nur welche? So sitz ich also da in 1400m hohem steirischen Alpenland und hadere mit meinem Text – und dem mehr als lausigen Internetz.

Mmh. Zuallererst würde ich sicher davon schreiben wollen, dass ich einfach nicht akzeptieren will und kann, dass die über “Grüne Vorwahlen” geworbenen Unterstützerinnen und Unterstützer unfair behandelt wurden. Einhundertdreissig von ihnen wurden ohne ein einziges Mal bei Ihnen zurückzufragen abgelehnt – “einfach so”. Ich möchte das Prinzip Willkür, das da zur Anwendung kam auch bei seinem Namen nennen. Und ich möchte auch sagen, warum dieses Vorgehen für mich mehr Bedeutung hat als “nur” ein letztlich unbedeutender Anlassfall kleiner Fairnessverletzung zu sein: es schockiert mich einfach, dass sich in einer von mir doch geschätzten politischen Gruppierung nach langer Debatte jene Kräfte durchsetzen, für die rechtsstaatliche Grundprinzipien wie etwa die “Gleichheit vor dem Gesetz” oder das “Recht im Verfahren angehört zu werden” keine unverzichtbare Kostbarkeit darstellen. Möchte ich Menschen, welche bei der Abwägung zwischen uns allen nützenden Grundsätzen und dem vermeintlich eigenen Interesse bereits im Kleinen versagen, dann wirklich als meine Vertreter in öffentliche Ämter wählen? Nein, das möchte ich eigentlich nicht.

Dann müsste ich natürlich einige Worte über meine Enttäuschung verlieren, die Enttäuschung, dass die Motivation für die Grünen Vorwahlen von einem für mich viel zu grossen Teil der Grünen nicht verstanden, von einem weiteren Teil aus ideologischen Gründen einfach nicht gutgeheissen wird. Dass die Diskussion um die Grünen Vorwahlen von Anfang an von der internen “Machtfrage” und dem teils erbittert geführten Kampf um Positionen dominiert war kann ich ja recht gut verstehen und auch nachvollziehen. Wesentlich mehr beschäftigt haben mich aber die vielen kleinen und grösseren Grundsatzgespräche, aus denen immer wieder hervorging, dass man mit dem von unserer Verfassung gebotenen Prinzip des “freien Mandats” eigentlich auf Kriegsfuss steht und innerparteilich eher so einer zumindest “halb” imperativen Variante anhängt. Das Motto: das (ausserparlamentarische) Kollektiv soll Politik machen, die (in Parlamenten sitzenden) Abgeordneten sollen die inhaltlichen Vorgaben der Partei vor allem vollziehen. Wer sich im Zuge dieser Tätigkeit gar ein medial wahrnehmbares Profil erarbeitet und in Gesprächen mit Wählerinnen und Wählern gut ankommt wird tendentiell als “Selbstdarsteller” oder “Egomane” verunglimpft, welcher eben nicht mehr wissen wolle, dass er ohne die Partei doch rein gar nichts wäre.

Für ein und denselben Text fast schon unmöglich weit ausholen müsste ich, um von meinem Eindruck zu berichten, dass die demokratische Verfasstheit Österreichs für (zu) viele Grüne nicht wirklich “am Tapet” steht. Der fortdauernde politische Stillstand in diesem Land, die immer unerträglicher kreischende rechte “Abrechnung” damit und das stärker werdende Ohnmachtsgefühl eines grossen sich zwischen allen politischen Stühlen fühlenden Teils der Bevölkerung wird einfach nicht mit einem drückender werdenden Demokratiedefizit in Verbindung gebracht. Vielmehr würde die Bevölkerung eben leider die “falschen” Parteien mit den “falschen” Ansichten wählen. Punkt und Ende der Analyse. Und wenn man das so sieht, dann denkt man nicht so wirklich stark darüber nach, ob die österreichische Realdemokratie nicht vielleicht doch ein ziemliches Systemproblem hat. Und wenn man dann wiederum den Vertrauensschwund in dieses “System Österreich” nicht als drängendes Problem sieht, dann kann man auch die “Grünen Vorwahlen” nicht als ein Angebot an die eigenen Wählerinnen und Wähler wahrnehmen. Ein Angebot mit dem man wunderbar ausdrücken könnte: “Wir sehen die Probleme Österreichs und nehmen sie ernst. Und vor allem nehmen wir Euch ganz anders ernst als alle anderen. Wir legen unser Schicksal genau dort, wo es wirklich drauf ankommt, in Eure Hände. Damit ihr wisst, dass wir es aufrichtig mit Euch meinen.”

Vielleicht sollte ich aber doch weniger von der grossen und nur sehr langfristig beeinflussbaren Demokratiefrage sprechen und doch mehr von der kleinen grünen Demokratiewelt. Zum Beispiel könnte ich ja an die Grüne Wiener Landesversammlung vom 21. Juni erinnern und meine Interpretation der Zahlen einbringen. In dieser Versammlung fanden sich nicht nur 2/3 Mehrheiten dafür, die Rechte der neuen UnterstützerInnen auf sehr relevantem Gebiet einzuschränken, sondern es erwärmten sich auch fast 40% für den Vorschlag, den “Neuen” vor den Augen einer sehr aufmerksam gewordenen Öffentlichkeit überhaupt jedes interne Wahlrecht zu entziehen. Ich bin mir ganz sicher, dass es über diese knapp 40% hinaus eine Dunkelziffer an Leuten gab und gibt, welche diese Radikalvariante ebenfalls nur allzugern realisiert sehen würde, sie aber aus mehr taktischen Erwägungen zunächst doch abgelehnt hat (”Das schadet uns in der Öffentlichkeit!”).

Gleichzeitig spiele ich dann wieder mit dem Gedanken, auch noch von jenem Tag zu berichten, an dem meine Frau Kathi über ihre Ablehnung informiert wurde und das Fass meiner Frustrationstoleranz vielleicht endgültig überlief. Sie darf sich nun nämlich zu jener kleinen Gruppe von angeblich maximal fünf oder so AntragstellerInnen zählen, bei denen trotz Antwort auf die Nachfrage “keine ausreichende Beteiligungsbereitschaft herauslesbar” war. Am 23. Juli (!) wurde ihr per 08/15 Standardmail (”Falsches Formular”) die Ablehnung übermittelt. Ob der Grund für die Ablehnung in ihrem zu ehrlichen Statement zur Frage nach ihrer “Teilhabe” lag werden wir dank des kafkaesk anmutenden (Aufnahme-)Prozesses auch nicht mehr vollständig klären können bzw. wollen:

Als berufstätige Mutter zweier Kleinkinder ist es für mich zur Zeit leider undenkbar zu beginnen, mich in einer politischen Partei zu engagieren. Bedeutet aber Demokratie und Wahlrecht nicht eben eigentlich genau, dass die Bürger eines Staates mitbestimmen dürfen, wer für sie in der Politik arbeiten soll und wer nicht? Auch wenn man selbst auf andere Weise an der Arbeitsteilung einer modernen Gesellschaft teilnimmt, also nicht “aktiv” in der Politik ist! Die Entdeckung, dass die Grünen so eine direkte Mitbestimmung offenbar als einzige Partei in Österreich zulassen, fand ich sehr spannend, und an diesem Prozess hätte ich mich gerne beteiligt.

Und dann kämpfe ich in diesem unmöglichen Text ja auch noch damit, wie ich den wichtigsten und persönlichsten Grund für meinen Rückzug beschreiben kann. Denn meine aktuelle Auseinandersetzung mit den Grünen hat mir wiederum ganz klar gemacht, dass ich trotz grosser Nähe zu etlichen grünen Themen niemals ein Grüner werde sein können. Und zwar aus einem Grund, aus dem ich auch kein Roter, Schwarzer, Blauer oder Oranger sein kann. Das klingt dann sehr schnell völlig abgehoben, aber es hat tatsächlich etwas mit einer mich seit langem prägenden Verehrung für Karl Popper, seiner philosophischen Annäherung an “Wissenschaft” und seiner letztlich auch aus seinem Wissenschaftsbegriff abgeleiteten Offenen Gesellschaft zu tun. Ich schlag mal kurz in der Wikipedia nach und finde:

In Offenen Gesellschaften ist im Gegensatz zu ideologisch festgelegten, geschlossenen Gesellschaften, die einen für alle verbindlichen Heilsplan verfolgen, ein intellektueller Meinungsaustausch gestattet, der auch kulturelle Veränderungen ermöglicht. [...] Institutionen sind zwar unumgänglich, müssen sich in Offenen Gesellschaften aber einer ständigen Kritik stellen und immer veränderbar bleiben.

Nun ist es nicht so, dass ich die Wiener oder österreichischen Grünen für eine völlig geschlossene Gesellschaft halte. Im Gegenteil. Ich halte sie trotz aller hier deutlich geäusserter Kritik immer noch für eine positive und inhaltlich wichtige politische Stimme. Aber ich muss doch resümieren, dass das nur ein “relatives” Statement ist und mir selbst die Offenheit der Grünen letztlich nicht reicht, um dabei sein zu wollen. Damit meine ich vor allem auch die “geistige” Offenheit. Zu oft bin ich in Diskussionen auf den Punkt aufmerksam geworden, dass mal implizit, mal explizit die Frage im Raum stand, ob bestimmte einfach “frei” geäusserte Gedanken eigentlich “noch grün” seien. Und das interessiert mich eben genauso wenig, wie es mich interessiert ob ein Gedanke “christlich” ist, “marxistisch” ist oder sonst irgendwelchen vorgefassten Denkschemata entspricht. Nein, es interessiert mich nicht nur nicht, sondern ich gebe zu, ich halte es darüberhinaus auch nur ganz, ganz schlecht aus. Den sozialen Kampf um Anerkennung in sich gegenseitig bestätigenden politischen Zirkeln halte ich für eines der österreichischen Hauptprobleme – weshalb mich ja auch die Idee der Grünen Vorwahlen interessiert hat. Aber bevor ich selbst mich ständig mit der Frage auseinandersetzen muss, ob meine Gedanken “grün” genug sind sag ich lieber gleich, dass sie es vermutlich nicht sind. Ich bin ich. Mehr kann und will ich nicht leisten (müssen).

Tja. Und dann darf ich ja trotz allem auf jenen Punkt nicht vergessen, der diesen Text und meinen Entschluss, nicht nur zu schweigen, sondern schon auch zu reden, so besonders schwierig macht. Dies hier ist mein Blog. Und ich erkläre daher für alle die es interessiert, wie es mir persönlich mit den Grünen Vorwahlen und den Grünen ergangen ist: Nicht so gut, dass ich persönlich weitermachen möchte. Es gibt aber neben meinen für mich gültigen Gründen aufzuhören auch sehr gute Gründe weiterzumachen. Und ich wünsche mir das auch, dass alle, für die das persönlich “funktioniert” da dranbleiben. Wir haben ganz zweifellos einen wichtigen Nerv getroffen. Das steht für mich fest. Und einige – mich eingeschlossen – werden durch diesen Prozess vielleicht “verbraucht”. Aber wer kann denn heute wissen, was vielleicht doch noch alles Positives draus werden kann? Jetzt ohne mich – und vielleicht ja auch wieder mit mir. In einer Rolle mehr “von aussen”, die besser zu meiner Fasson passt als es die heutige österreichische Parteiendemokratie bisher zulässt? Wir werden es sehen.

Es ist fürchterlich, denn summa summarum weiss ich immer noch nicht, wie ich diesen Text schreiben soll. Ich weiss nur, dass ich ihn schreiben “muss”. Und dass er viel besser wohl auch nicht mehr werden wird.


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