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Darf das Volk Minarette verbieten?

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Der Schweizer Volksentscheid für ein landesweites Bauverbot von Minaretten legt eine entscheidende Schwäche des politischen Systems der Schweiz offen. Auch für den Wiener Wahlkampf ist nun eine der bekannt unreifen Angstdebatten über Für und Wider direktdemokratischer Entscheide zu erwarten. Strache wird eine Abstimmung über Minarette oder ähnliches fordern und die SPÖ damit in eine nur schwer auflösbare Zwickmühle manövrieren. Die Schwäche des politischen Systems der Schweiz liegt freilich nicht darin, dass die Bevölkerung ihre Repräsentanten im Zweifel auch “überstimmen” darf.


(Foto Credits to jeanmartin according Creative Commons BY-SA 2.0)

Tom Schaffer weist in die entscheidende Richtung wenn er sagt:

Eine Demokratie setzt sich nicht nur über Mehrheitsentschiede zusammen, sondern misst sich auch an der ihr innewohnenden Idee einer freien und gerechten Gesellschaft, bei der gleiches Recht für alle gilt. Wer diese Ideen ausblendet, der beschreibt nur die Diktatur von Mehrheiten, jedoch keine Demokratien.

Die Weltbeobachterin stellt mit ihrer Anmerkung unter Beweis, dass der Gleichheitsgrundsatz unserer Verfassung voll in ihr Denken integriert ist:

Als Christin denke ich, wenn Kirchen gebaut werden dürfen mit Kirchtürmen und Glocken wird es auch für andere Religionen gelten dürfen.

Und last not least argumentiert auch Niko Alm nur konsistent, wenn er sagt:

Das Minarettverbot und das Kreuz im Klassenzimmer sind Ausdruck der selben Geisteshaltung.

Das Thema betrifft die Frage: Was darf die Mehrheit? Wann darf sie die Minderheit überstimmen und ab wann wird dieses einer Demokratie immanente “Überstimmen” zum letztlich illegitimen “Drüberfahren”? Eine liberale Demokratie – auch die österreichische – gibt darauf zunächst die Antwort der Grund- und Menschenrechte. Diese Rechte, die historisch zumeist als Bereiche garantierter Freiheit vom “Dikat des Monarchen” erkämpft wurden richten sich heute gegen das “Diktat der Mehrheit”. Die Rechtekataloge umfassen regelmässig nicht nur die Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Schutz der Privatsphäre usw. sondern auch wirtschaftliche Grundrechte wie die Eigentums- und Erwerbsfreiheit. In der österreichischen Praxis aber fast am wichtigsten, wenn es darum geht den Willen der Mehrheit in gewisse Schranken zu weisen ist die verfassungsmässig garantierte Gleichheit vor dem Gesetz. Diese wird vom Verfassungsgerichtshof auf eine knappe Formel gebracht so ausgelegt, dass Differenzierungen sachlich zu erfolgen haben.

Die Frage ob die Mehrheit so ein Bauverbot für Minarette aus menschenrechtlicher Sicht überhaupt verhängen darf kann man wohl noch nicht endgültig beantworten. Vielleicht wird sich eines (leider fernen!) Tages der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) dazu äussern, dessen Entscheidungen sich im Rahmen des Europarats ja auch die Schweiz grundsätzlich verpflichtet fühlt. Ob die Religionsfreiheit hier tatsächlich verletzt ist, ist für mich eher schwer zu prognostizieren. Was hingegen ziemlich klar sein dürfte: dass ein solches eine Bevölkerungsgruppe und ihre Bautraditionen betreffendes Generalverbot eine diskriminierende und unsachliche Ungleichbehandlung vor dem Gesetz darstellt.

Weshalb ich mal vermute, dass dergleichen vor dem österreichischen Verfassungsgericht keinen Bestand haben würde. Das Problem der Schweiz: es gibt kein innerstaatliches Verfassungsgericht, das grund- oder menschenrechtswidrige Normen einkassieren könnte. Erschwerend kommt dazu: Volksentscheide stehen quasi immer im Verfassungsrang. Das müsste freilich nicht so sein, ist aber in der Schweiz eben derzeit so.

Kluge Schweizer Nationalräte wissen, dass die Schweiz zwar eine lange demokratische Tradition hat, aber auf diesem Gebiet der grund- und menschenrechtlichen Normenkontrolle Nachholbedarf besteht. Weshalb derzeit nach gescheiterten Versuchen Ende der 1990er Jahre wiederum eine parlamentarische Initiative am Laufen ist, um diese Situation zu verbessern. Dass nun – wie ich glaube erstmals – eine Volksinitiative eine Mehrheit gefunden hat an deren Grundrechtskonformität grobe Zweifel angemeldet werden müssen könnte genau dieser Schweizer Verfassungsdebatte vielleicht den entscheidenden “Kick” geben…

Was aber jedenfalls ganz klar ist und dennoch in der bevorstehenden österreichischen Debatte gnadenlos vermischt werden wird: die ganze Frage hat rein gar nichts damit zu tun, ob der Gesetzgeber einer grundrechtswidrigen Norm ein Vertretungskörper oder das Volk direkt ist. Sie hat nichts mit der Frage zu tun, ob mehr oder weniger direkte Demokratie nun besser oder schlechter sei. Grundrechtliche Normenkontrolle braucht man in beiden Fällen.


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