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Wählen? Nein, danke.

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Ich kann mir nicht helfen. Mich nerven a. die immer gleichen Aufrufe, doch unbedingt zur Wahl zu gehen, um vom kostbarsten aller Rechte doch unbedingt Gebrauch zu machen. Mich nervt b. das Philosophieren darüber, ob weiss wählen nun moralisch sei oder nicht (geschweige denn erst das öffentliche Aufrufen dazu!) Mich nervt c. das reflexartige Gejammere über niedrige und immer niedrigere Wahlbeteiligungen. Und nun nervt mich auch noch d. ein wiedergewählter Bundespräsident, der die Wiederwahl abschaffen und dafür die Amtszeit verlängern möchte, nur weil die Beteiligung niedrig war.

Alles ein bisserl diffus, ich weiss. So ist das mit der Psyche des Genervten. Es folgt der Versuch einer Lichtung.

Don't re-elect anyone.
(Foto Credits to luna715 according Creative Commons BY-NC-ND 2.0)

Es gibt eine Unzahl an subjektiv so empfundenen Gründen nicht oder ungültig zu wählen. Dahinter stehen aber zwei Grundströmungen: Widerstand und Desinteresse. Hierin liegt die Motivation des Weisswählers: er nimmt die Mühe extra zur Wahl hinzugehen, um dann dort angekommen erst recht nicht teilzunehmen, allein deshalb auf sich, um sich von den Desinteressierten abzugrenzen. Er “leistet” im wahrsten Sinn des Wortes seinen Widerstand.

Schaut man dann etwas genauer hin, sind die Motivationslagen innerhalb dieser beiden Grundstömungen wiederum vielfältig. Die Palette reicht vom Widerstand gegen das gesamte politische System

Don’t vote. It just encourages them.” (Öfter auf Wänden zu lesen, zB hier)

über den Widerstand gegen ein Versagen der gesamten politischen “Elite”

Don’t re-elect anyone.” (Ernst und humorvoll zugleich, hier)

hin zur Unzufriedenheit mit dem momentanen politischen Angebot:

I can’t vote for anyone in this election” (manchmal auch wegen totalem Vertrauensverlust)

Längere Zeit mit dem Beharrungsvermögen demokratischer Politik konfrontiert kippt Widerstand und Unzufriedenheit gerne auch ins Desinteresse,

My vote won’t change anything.” (Muss nicht Frust sein, sondern ist u.U. purer Realismus)

Desinteresse kann aber auch aufgrund anderer persönlicher Prioritäten vorliegen – die Wahl ist subjektiv nicht wichtig genug – sei das dem “politischen” Menschen nun mehr

I am in the Amazonas jungle of Ecuador.

oder eben weniger nachvollziehbar:

The weather is just too nice to vote.

Menschen haushalten mit ihrer Zeit und Energie subjektiv/ökonomisch, daher spielt die antizipierte Relevanz der eigenen Stimme für den Wahlausgang eine besonders grosse Rolle

This election is already decided.” (Kann völlig realistisch sein, aber auch vermeintlich sichere Wahlausgänge kippen.)

Und last not least finde ich einen durchaus sympathischen Grund, nicht zu einer Wahl zu gehen, zu bekennen, sich nicht besonders gut auszukennen

I think the others should decide.” (Ist vor allem bei Schweizer Volksabstimmungen eine durchaus gängige Haltung bei Indifferenz zur gestellten Frage)

wofür auch eine grosse Zufriedenheit mit dem Status Quo ausschlaggebend sein kann, solange eben keine grossen politischen Änderungen zu erwarten sind

Things are fine just the way they are.” (hier z.B. anregend persifliert)

Was aber auch immer die persönliche Motivation von Nicht- und Ungültigwählern sein mag, der rechtliche Effekt ist immer derselbe: die politische Entscheidung wird den “Gültig”-Wählern überlassen. Man sollte sich das bewusst machen: Wer nicht wählt, wählt das Ergebnis der anderen. Aber es ist völlig legitim und muss auch legitim bleiben.

Warum wird aber dann also ständig zum Wählen aufgerufen und mit allerlei Argumenten versucht, dem Wähler das Zuhausebleiben madig zu machen? Nun der wichtigste Grund ist natürlich das gesunde Eigeninteresse. Die Kandidaten bzw. die kandidierenden Parteien versuchen, ihre eigene Wählerschaft auch zur Stimmabgabe zu bewegen. Stichwort “Mobilisierung”: nun, das ist völlig legitim und muss auch legitim bleiben.

Freilich sollte man als Wähler über allzu moralinsauren Aufrufen zur Wahl als “staatsbürgerlicher Pflicht” ganz gelassen drüberstehen: es handelt sich weder um eine rechtliche, noch um eine moralische Pflicht. Stimmt schon: auf das Recht zur Abgabe seiner politischen Stimme zu verzichten gefällt jenen nicht, die diese Stimme gerne gehabt hätten, deshalb müssen wir aber dem Argument, es handele sich dabei um sowas wie den Anfang vom Ende der Demokratie nicht gleich glauben. Denn gibt es einen Zusammenhang zwischen dem “Reifegrad” oder der “Stabilität” einer Demokratie und der Höhe der Wahlbeteiligung? Wenn überhaupt, dann sogar eher umgekehrt proportional: je entwickelter und stabiler die Demokratie, desto niedriger tendentiell die Wahlbeteiligungen. Man sehe zB in die USA. Man sehe in die Schweiz. Freilich: geht es dort ans Eingemachte, dann macht man von seinem Recht wieder verstärkt Gebrauch. Das Recht zu wählen ist daher unverzichtbar und kostbar – und nicht seine ununterbrochene Ausübung.

Dass Österreich noch nicht zu diesen entwickelten und stabilen Demokratien gehört, lässt sich aber nicht nur an den – salopp formuliert, zugegeben – immer noch zu hohen Wahlbeteiligungen ablesen, sondern vor allem auch an den völlig verqueren Reaktionen auf niedrigere Wahlbeteiligungen: nach der Verlängerung der Wahlperiode des Nationalrats von vier auf fünf Jahre wird nun über eine Verlängerung der Wahlperiode des Bundespräsidenten von sechs auf acht Jahre gesprochen. Verdammt, ihr bekommt aber auch wirklich rein gar nichts auf die Reihe. Daher nochmal in fett: Unser Recht zu wählen ist unverzichtbar und kostbar. Dieses wird durch die übermässige Verlängerung der Wahlperioden ungebührlich eingeschränkt.

Heinz Fischer darf sich freuen. Er hat nicht nur einen überragenden Anteil der gültigen Stimmen errungen, sondern seine Wiederwahl war noch dazu so unspannend, weil aufg’legt, dass sie kaum jemand hinter dem Ofen hervorgelockt hat. Was aber gar nicht geht sind die demokratisch unreifen Versuche unserer politischen Elite, diese für sie lästige Wählerei mit fadenscheinigen Argumenten zurechtzustutzen. Stimmt schon, Bundespräsidenten werden in der Regel wiedergewählt. Aber wir bestehen auf unser Recht, Ausnahmen zu machen. Kurt Waldheim wäre 1992 wahrscheinlich nicht wiedergewählt worden, weil auch seine Befürworter in grosser Zahl zum Schluss gekommen wären, dass seine Wiederwahl dem Land schadet. Kurt Waldheim selbst hat das ähnlich gesehen und deshalb auf eine Wiederkandidatur verzichtet.

Wir brauchen mehr – nicht weniger – Wahlrecht. Und wir bestehen auf unser Recht, dieses nach Lust und Laune auszuüben oder die Entscheidung den anderen zu überlassen. Lasst Euch bitte keinen Sand in die Augen streuen.


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